
STELLUNGNAHME VON INTERFLUGS, DER AUTONOMEN
STUDENTISCHEN ORGANISATION AN DER UDK,
BEZÜGLICH DES LAUFENDEN BERUFUNGSVERFAHRENS
ZUR WIEDERBESETZUNG DER PROFESSUR
„EXPERIMENTELLE MEDIEN (FILM / FOTOGRAFIE).“
ZEITGEMÄßE LEHRE
– Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft
In unserer zunehmend komplexen Gegenwart werden Trennungen zwischen verschiedenen
Kunstdisziplinen und zwischen Kunst und Wissenschaft immer durchlässiger, die Produktion
neuen Wissens durch interdisziplinäre und transmediale Arbeitsprozesse immer wichtiger.1
Die UdK hat als Antwort auf die veränderten Anforderungen an zeitgemäße Lehre die
Graduiertenschule gegründet, welche den Brückenschlag zwischen den Künsten und den
Wissenschaften vorantreiben sollen.2 Innerhalb der UdK wird auf diesen Brückenschlag aber
noch zögernd reagiert:
Auf der einen Seite gibt es die Position, dass die Unterscheidung zwischen Künsten und
Wissenschaften nicht mehr vertretbar und daher obsolet sei. Auf der anderen Seite steht die
Position, die den Unterschied zwischen Künsten und Wissenschaften für dermaßen
ausgeprägt hält, dass eine Synthese im Rahmen einer Graduiertenschule nicht möglich sei.
Künste und Wissenschaften müsse man „artig“ voneinander trennen, sonst gebe es
Reputationsverluste auf beiden Seiten.3
Interflugs vertritt die Meinung kein Entweder-Oder zur forcieren (entweder nur ein
traditionelles Kunst- oder Wissenschaftsverständnis oder nur ein Wechselverhältnis von
Künsten und Wissenschaften), vielmehr sollten interdisziplinäre Positionen parallel zu
anderen Modellen vertreten werden. In jedem Fall sollten Impulse aus der Graduiertenschule
sich auch in den einzelnen Fakultäten wieder finden, hier stimmt Interflugs mit der offiziellen
Position der UdK überein:
Vergleichsweise häufig werden Überlegungen dazu angestellt, wie der Gedanke einer
künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenschule auf das Grundstudium übertragen
werden kann. Es wäre bedauerlich, wenn erst nach Abschluss des Studiums ein
intensivierter Brückenschlag zwischen den Fächern der UdK Berlin erfolgen würde, ohne
dass davon auch Studierende am Anfang oder während ihres Studiums profitierten. 4
Innerhalb der Fakultät Bildende Kunst gibt es im Moment wenig Modelle, die künstlerische
und theoretische Perspektiven konsequent verbinden.
Bei der Anhörung am 30.04.2009 zeichnete sich Dr. Hito Steyerl in ihrem Vortrag als
hybride, d.h. als sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich hoch qualifizierte
Persönlichkeit aus. Keiner der anderen Bewerber und Bewerberinnen konnte ein ähnlich
fundiertes künstlerisch-wissenschaftliches Wissensspektrum einhergehend mit
zukunftsweisenden, relevanten Themen und experimentellen Arbeitspraktiken vorweisen. Ihre
nicht-traditionelle Studienfachkombination in Filmregie an Hochschulen in Tokio und
München sowie Philosophie an der Kunsthochschule Wien befähigen sie, in verschiedenen
Kunstrichtungen und Diskursen einflussreich mitzuarbeiten
Als einzige Bewerberin hat sich Hito Steyerl gezielt zur Lehre an der UdK geäußert, deren
Inhalte und Formate sie zuvor an verschiedenen namhaften Institutionen entwickelt und
erprobt hat (Goldsmith College London, Hochschule für Film und Fernsehen München,
Akademie der Bildenden Künste Wien, UdK Berlin).
UNTERRICHT – Verbindung von Theorie und Praxis
In ihren theoretischen Seminaren verbindet Hito Steyerl Film- und Videogeschichte mit
gesellschaftlich relevanten Themen und innovativen künstlerischen Strategien. Als
Gastprofessorin an der UdK gab Hito Steyerl folgende Seminare: „Media Matters,“
„Documentary Turn“, „History is a Plastic Medium“. In ihrem letzten Seminar „Aesthetics of
the Crisis“ verknüpfte sie zunächst die Entwicklung der Filmsprache mit der Entwicklung der
Finanzspekulation, um zu untersuchen wie sich die Komplexität abstrakter ökonomischer
Systeme auch heute medial vermitteln lässt. Es ist an unserer Fakultät bisher selten, dass
dieselbe Lehrperson theoretische Seminare gibt und Arbeitsbesprechungen durchführt.
Während der Gastprofessur von Hito Steyerl hat sich diese Praxis jedoch als sehr fruchtbar
erwiesen. Zentrale Fragestellungen, zum Beispiel inwiefern Fiktionen imstande sind
Realitäten zu schaffen, werden in den Arbeitsbesprechungen der Klasse wieder aufgegriffen
und bereichern das Diskussionsniveau, da sie den eigenen Kunstwerken einen
mehrschichtigen Zugang eröffnen.
INTERNATIONALE VERNETZUNG
Der UdK ist die internationale Vernetzung ein großes Anliegen, sie pflegt über 130
Hochschulpartnerschaften, etwa 20% der Studierenden kommen aus dem Ausland. Hito
Steyerl trägt diesem Umstand Rechnung, in dem sie auf Englisch unterrichtet und den
ausländischen Studierenden immer die Gelegenheit gibt ihre Perspektiven einzubringen.
Davon profitieren auch die hiesigen Studierenden, indem sie in einen internationalen
Ideenaustausch einbezogen werden, was sie wiederum auf zukünftige Arbeits- oder
Studienaufenthalte im Ausland vorbereitet. Es gibt einen aktiven Klassenblog, in dem
Studierende, Themen, Ideen, Projekte produktiv vernetzt werden und weiter wachsen.
DISKURS – Politische und ethische Fragestellungen
In den Medien und in der Kunstwissenschaft wird Hito Steyerl als wichtige Denkerin
rezipiert, die sich komplexen Themen wie den Auswirkungen medialer Globalisierung und
der digitalen Reproduzierbarkeit von Bildern annimmt und Fragen zur politischen
Verantwortung und Ethik in der Kunst aufwirft. In ihrem 2008 erschienenem Buch „Die
Farbe der Wahrheit5“ umkreist sie drei Fragen: 1. Wie lässt sich das Reale selbst nunmehr
denken? 2. Ist Kritik überhaupt noch möglich, wenn wir schon immer in die Macht der Bilder
eingebettet sind, und wie?6 3. Welche Formen kann die Artikulation des Protests annehmen?
Die Diskussionen, die sie in ihren Klassentreffen und in ihren Seminaren anregt, führen uns
immer wieder unsere eigenen Handlungsoptionen, und vor allem unsere
gesellschaftspolitische Verantwortung als KulturproduzentInnen vor Augen. Wir leiten aus
Hito Steyerls bisherigen Engagement und ihrem Werdegang ab, dass sie in ihrer eigenen
künstlerisch-theoretischen Leistung wie auch in ihrer Lehre zukunftsweisende Impulse geben,
und die UdK öffentlichkeitswirksam auf höchstem Niveau vertreten wird.
1 Neue Modelle für den Dialog zwischen den Künsten und den Wissenschaften werden gegenwärtig am Max-Planck-
Institut für Wissenschaftsgeschichte („The Common Language of Art and Science“) und an der Freien Universität
Berlin (Internationales Graduiertenkolleg „InterArt Studies“) erforscht.
2 Sondierungsgruppe Graduiertenschule: Potentiale und Perspektiven. Sondierungen zu einer Graduiertenschule der
UdK Berlin, Berlin 2007, S. 5. Siehe auch Martin Rennert (Hrsg.), Graduiertenschule: Die Künste und die
Wissenschaften –– Denken über Zukunft, Universität der Künste Berlin, Berlin 2007.
3 Ebenda, S. 23.
4 Ebd., S. 26.
5 Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit, Dokumentarismen im Kunstfeld, Verlag Turia + Kant, 2008
6 Kathi Hofer, Rezension des oben genannten Buches, springerin 1/09
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