Freitag, 17. Juli 2009

STELLUNGNAHME VON INTERFLUGS - 30.Juni.2009















STELLUNGNAHME VON INTERFLUGS, DER AUTONOMEN

STUDENTISCHEN ORGANISATION AN DER UDK,

BEZÜGLICH DES LAUFENDEN BERUFUNGSVERFAHRENS

ZUR WIEDERBESETZUNG DER PROFESSUR

„EXPERIMENTELLE MEDIEN (FILM / FOTOGRAFIE).“

ZEITGEMÄßE LEHRE


 – Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft

In unserer zunehmend komplexen Gegenwart werden Trennungen zwischen verschiedenen

Kunstdisziplinen und zwischen Kunst und Wissenschaft immer durchlässiger, die Produktion

neuen Wissens durch interdisziplinäre und transmediale Arbeitsprozesse immer wichtiger.1

Die UdK hat als Antwort auf die veränderten Anforderungen an zeitgemäße Lehre die

Graduiertenschule gegründet, welche den Brückenschlag zwischen den Künsten und den

Wissenschaften vorantreiben sollen.2 Innerhalb der UdK wird auf diesen Brückenschlag aber

noch zögernd reagiert:

Auf der einen Seite gibt es die Position, dass die Unterscheidung zwischen Künsten und

Wissenschaften nicht mehr vertretbar und daher obsolet sei. Auf der anderen Seite steht die

Position, die den Unterschied zwischen Künsten und Wissenschaften für dermaßen

ausgeprägt hält, dass eine Synthese im Rahmen einer Graduiertenschule nicht möglich sei.

Künste und Wissenschaften müsse man „artig“ voneinander trennen, sonst gebe es

Reputationsverluste auf beiden Seiten.3

Interflugs vertritt die Meinung kein Entweder-Oder zur forcieren (entweder nur ein

traditionelles Kunst- oder Wissenschaftsverständnis oder nur ein Wechselverhältnis von

Künsten und Wissenschaften), vielmehr sollten interdisziplinäre Positionen parallel zu

anderen Modellen vertreten werden. In jedem Fall sollten Impulse aus der Graduiertenschule

sich auch in den einzelnen Fakultäten wieder finden, hier stimmt Interflugs mit der offiziellen

Position der UdK überein:

Vergleichsweise häufig werden Überlegungen dazu angestellt, wie der Gedanke einer

künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenschule auf das Grundstudium übertragen

werden kann. Es wäre bedauerlich, wenn erst nach Abschluss des Studiums ein

intensivierter Brückenschlag zwischen den Fächern der UdK Berlin erfolgen würde, ohne

dass davon auch Studierende am Anfang oder während ihres Studiums profitierten. 4

Innerhalb der Fakultät Bildende Kunst gibt es im Moment wenig Modelle, die künstlerische

und theoretische Perspektiven konsequent verbinden.

Bei der Anhörung am 30.04.2009 zeichnete sich Dr. Hito Steyerl in ihrem Vortrag als

hybride, d.h. als sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich hoch qualifizierte

Persönlichkeit aus. Keiner der anderen Bewerber und Bewerberinnen konnte ein ähnlich

fundiertes künstlerisch-wissenschaftliches Wissensspektrum einhergehend mit

zukunftsweisenden, relevanten Themen und experimentellen Arbeitspraktiken vorweisen. Ihre

nicht-traditionelle Studienfachkombination in Filmregie an Hochschulen in Tokio und

München sowie Philosophie an der Kunsthochschule Wien befähigen sie, in verschiedenen

Kunstrichtungen und Diskursen einflussreich mitzuarbeiten


Als einzige Bewerberin hat sich Hito Steyerl gezielt zur Lehre an der UdK geäußert, deren

Inhalte und Formate sie zuvor an verschiedenen namhaften Institutionen entwickelt und

erprobt hat (Goldsmith College London, Hochschule für Film und Fernsehen München,

Akademie der Bildenden Künste Wien, UdK Berlin).


UNTERRICHT – Verbindung von Theorie und Praxis

In ihren theoretischen Seminaren verbindet Hito Steyerl Film- und Videogeschichte mit

gesellschaftlich relevanten Themen und innovativen künstlerischen Strategien. Als

Gastprofessorin an der UdK gab Hito Steyerl folgende Seminare: „Media Matters,“

„Documentary Turn“, „History is a Plastic Medium“. In ihrem letzten Seminar „Aesthetics of

the Crisis“ verknüpfte sie zunächst die Entwicklung der Filmsprache mit der Entwicklung der

Finanzspekulation, um zu untersuchen wie sich die Komplexität abstrakter ökonomischer

Systeme auch heute medial vermitteln lässt. Es ist an unserer Fakultät bisher selten, dass

dieselbe Lehrperson theoretische Seminare gibt und Arbeitsbesprechungen durchführt.

Während der Gastprofessur von Hito Steyerl hat sich diese Praxis jedoch als sehr fruchtbar

erwiesen. Zentrale Fragestellungen, zum Beispiel inwiefern Fiktionen imstande sind

Realitäten zu schaffen, werden in den Arbeitsbesprechungen der Klasse wieder aufgegriffen

und bereichern das Diskussionsniveau, da sie den eigenen Kunstwerken einen

mehrschichtigen Zugang eröffnen.


INTERNATIONALE VERNETZUNG

Der UdK ist die internationale Vernetzung ein großes Anliegen, sie pflegt über 130

Hochschulpartnerschaften, etwa 20% der Studierenden kommen aus dem Ausland. Hito

Steyerl trägt diesem Umstand Rechnung, in dem sie auf Englisch unterrichtet und den

ausländischen Studierenden immer die Gelegenheit gibt ihre Perspektiven einzubringen.

Davon profitieren auch die hiesigen Studierenden, indem sie in einen internationalen

Ideenaustausch einbezogen werden, was sie wiederum auf zukünftige Arbeits- oder

Studienaufenthalte im Ausland vorbereitet. Es gibt einen aktiven Klassenblog, in dem

Studierende, Themen, Ideen, Projekte produktiv vernetzt werden und weiter wachsen.


DISKURS – Politische und ethische Fragestellungen

In den Medien und in der Kunstwissenschaft wird Hito Steyerl als wichtige Denkerin

rezipiert, die sich komplexen Themen wie den Auswirkungen medialer Globalisierung und

der digitalen Reproduzierbarkeit von Bildern annimmt und Fragen zur politischen

Verantwortung und Ethik in der Kunst aufwirft. In ihrem 2008 erschienenem Buch „Die

Farbe der Wahrheit5“ umkreist sie drei Fragen: 1. Wie lässt sich das Reale selbst nunmehr

denken? 2. Ist Kritik überhaupt noch möglich, wenn wir schon immer in die Macht der Bilder

eingebettet sind, und wie?6 3. Welche Formen kann die Artikulation des Protests annehmen?

Die Diskussionen, die sie in ihren Klassentreffen und in ihren Seminaren anregt, führen uns

immer wieder unsere eigenen Handlungsoptionen, und vor allem unsere

gesellschaftspolitische Verantwortung als KulturproduzentInnen vor Augen. Wir leiten aus

Hito Steyerls bisherigen Engagement und ihrem Werdegang ab, dass sie in ihrer eigenen

künstlerisch-theoretischen Leistung wie auch in ihrer Lehre zukunftsweisende Impulse geben,

und die UdK öffentlichkeitswirksam auf höchstem Niveau vertreten wird.


Neue Modelle für den Dialog zwischen den Künsten und den Wissenschaften werden gegenwärtig am Max-Planck-

Institut für Wissenschaftsgeschichte („The Common Language of Art and Science“) und an der Freien Universität

Berlin (Internationales Graduiertenkolleg „InterArt Studies“) erforscht.

Sondierungsgruppe Graduiertenschule: Potentiale und Perspektiven. Sondierungen zu einer Graduiertenschule der

UdK Berlin, Berlin 2007, S. 5. Siehe auch Martin Rennert (Hrsg.), Graduiertenschule: Die Künste und die

Wissenschaften –– Denken über Zukunft, Universität der Künste Berlin, Berlin 2007.

Ebenda, S. 23.

Ebd., S. 26.

Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit, Dokumentarismen im Kunstfeld, Verlag Turia + Kant, 2008

6 Kathi Hofer, Rezension des oben genannten Buches, springerin 1/09

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen