Mittwoch, 22. Juli 2009

Studierende fordern eine zeitgemäße Lehre

Verfasst von den Studierenden der Bildenden Kunst an der UdK Berlin, 22. Juli 2009


UdK Berlin: Tag der Offenen Tür blockiert 

- Studierende fordern eine zeitgemäße Lehre an der Universität der Künste


Der Rundgang der Universität der Künste Berlin gewährt als Tag der Offenen Tür jährlich über

zehntausend Interessierten einen Einblick in die Arbeit und das Studium an Deutschlands größter

Kunsthochschule. Doch während am 16.07.2009 Präsident Prof. Martin Rennert den Rundgang

feierlich im Hofgarten eröffnete, verbarrikadierten Studierende den Haupteingang mit Gittern

und Transparenten. Innen und Außen stauten sich Menschenmengen. Hiermit brachten die

Studierenden lautstark ihren Protest gegen ein nicht nachvollziehbares Berufungsverfahren an der

Fakultät Bildende Kunst zum Ausdruck. Die Studierenden fordern die Anerkennung des

studentischen Votums und die Anerkennung der Entscheidung der Berufungskommission für die

international renommierte Künstlerin Dr. Hito Steyerl zur Professorin. Obwohl sich über ein

Viertel der Studierendenschaft aktiv solidarisiert, ist der Ausgang des Verfahrens auch nach

mehreren Abstimmungen im Fakultätsrat ungewiss. Es bleibt abzuwarten, ob der bisher nicht

repräsentierte Bereich Film / Video endlich mit einer für die Ausschreibung entsprechend

qualifizierten Professorin besetzt wird.


Die momentane innerpolitische Situation an der UdK wurde bereits 2006 in den Medien kritisch

diskutiert. Damals boykottierten die Studierenden den Rundgang mit der Aktion „Außer Haus,“

um gegen den Weggang der Professoren Stan Douglas, Daniel Richter und Tony Cragg zu

protestieren. Seitdem scheint sich an der Fakultät Bildende Kunst nicht viel geändert zu haben.

Nach wie vor wird die Stimme der Studenten ignoriert und entgegen deren Vorstellung einer

zeitgemäßen Lehre gehandelt. An der UdK sind Lehrveranstaltungen zu politischen und

theoretischen Themen wie postkolonialer Kritik, Gender Studies, internationaler Feminismus,

Film/Video nicht vorhanden oder unterrepräsentiert.


Die ehemalige Video-Klasse von Stan Douglas muss seit über drei Jahren ohne festen Professor

auskommen und kämpft jetzt an der Seite des Fachschaftsrates Bildende Kunst und der

autonomen studentischen Organisation Interflugs für die Berufung von Hito Steyerl. Ihre

Arbeiten als Filmemacherin und Autorin in den Bereichen essayistischer Dokumentarfilm,

postkoloniale Kritik, Feminismus und kulturelle Globalisierung - bewegen sich zwischen Film

und bildender Kunst sowie Theorie und Praxis. Dies sind Inhalte, die in den Lehrangeboten der

UdK fehlen und von den Studierenden gewollt werden. Unter dem Deckmantel bürokratischer

Prozesse werden die Interessen der Studierenden jedoch seit mehreren Jahren übergangen.


Karoline Kreißl, Sprecherin des AStA UdK erläutert dazu:

"Solange in universitären Gremien nicht alle Gruppen (ProfessorInnen, Studierende, Mittelbau,

Verwaltung) stimmenmäßig gleich vertreten sind, kann es immer wieder passieren, dass

ausgeschriebene Professuren nicht besetzt werden können, weil es innerhalb der

ProfessorInnenschaft zu Grabenkämpfen kommt. Die Schuld liegt bei den ProfessorInnen!"


Die Blockade der Offenen Tür führte zu einem Termin der Studierenden mit dem Präsidenten zu

einer Verhandlung am 24. Juli. Nun steht Prof. Martin Rennert unter Handlungsdruck, zwischen

den Forderungen der Studierenden und denen des Fakultätsrats zu vermitteln. Sollte es zu keinen

verbindlichen Ergebnissen kommen, sind die Studierenden bereit, weitere Aktionen folgen zu

lassen. Der Protest gegen das als nichtnachvollziehbare Berufungsverfahren beginnt eine

unvorhersehbare Eigendynamik zu entwickeln.


Kontakt:

Karoline Kreißl. AstA UdK: unipolitik@asta-udk-berlin.de

Vincent Grunwald, Tutor der Hito Steyerl Klasse: raum98_114@yahoo.de

UdK – Open House Day blocked. Students demand a contemporary art education.

Press release

From the Students of the Faculty of Fine Arts at UdK Berlin, 22.07.2009

Each year, Open House Day at the Berlin University of Arts provides a glimpse of work and education inside Germany´s largest art school for about 10.000 people. But while the university chairman Martin Rennert was inaugurating this year's show on Jul 16th in the school courtyard, students blocked the main entrance with fences and banners. The students were protesting against an obscure appointment procedure for an open professorship in New Media at the Faculty of Fine Arts, demanding the recognition of the student vote as well as the implementation of the decision of the appointments committee for the internationally renown artist  Hito Steyerl as professor.

While more than 25% of students actively support these claims, the outcome of the proceedings is unclear even after several rounds of voting in the faculty board. It remains to be seen whether the hitherto unrepresented area of film and video will be filled with a qualified professor.

The political situation at the UdK already fell under critical media scrutiny in 2006. Back then, the students boycotted Open Day with the campaign „Ausser Haus“ (Outdoors) to protest the resignation of professors Stan Douglas, Daniel Richter and Tony Cragg. Since then, nothing seems to have changed inside the faculty, which continues to ignore the students' input into their own education.

The former video class of Stan Douglas has been without a tenured professor for more than 3 years and is now campaigning alongside student representatives of the Fine Arts faculty and the autonomous student body Interflugs for the appointment of Hito Steyerl. Her work as filmmaker and author in the area of essay film, postcolonial theory, feminism and cultural globalisation  addresses precisely those topics missing from the course offerings at UdK that the students want. Under the pretext of administrative proceedings, their interests have consistently been ignored.

Karoline Kreissl, speaker of the General Student Union comments:

"As long as the votes of different groups (professors, students and mid-level faculty) are distributed unequally within university panels, the appointment of professors can be blocked by factional squabbles among the faculty. The blame lies with the professors."

The blockade of Open House Day led to an appointment  between the university chairman and students on Jul 24th. Now, Martin Rennert is called upon to mediate between the claims of students and the faculty board. If this does not produce binding results, the students are ready to pursue further actions. 

contact:

Karoline Kreißl. AstA UdK: unipolitik@asta-udk-berlin.de

Vincent Grunwald, Tutor der Hito Steyerl Klasse: raum98_114@yahoo.de

ANKÜNDIGUNG: Verhandlung mit dem Präsidenten am 24.07.09

Prof. Martin Rennert lud folgende Personen ein:
- Eine Delegation der Studierenden
- Den Kommissionsvorsitzenden, Karl Heinz Lüdeking
- Die Dekanin, Ana Dimke
- Die Professorin, Josephine Pryde
- Die Frauenbeauftragten, Sigrid Hase und Sophie Hamacher

Werden bei dieser Verhandlung die studentischen Forderungen nicht erfüllt, führen wir die Proteste weiter. Eine internationale Online-Petition ist in Vorbereitung.

TAGESSPIEGEL BERICHTET: STUDENTEN KÄMPFEN FÜR IHRE PROFESSORIN

Studenten kämpfen für ihre Professorin:

http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/UdK-Hito-Steyerl;art304,2853507

Freitag, 17. Juli 2009

BLOCKADE DES RUNDGANGS - 16. Juli 2009

Während UdK Präsident Prof. Martin Rennert im Garten offiziell den Rundgang eröffnet, versperren die Studierenden für eine Stunde den Haupteingang. Niemand kann hinein, niemand kann hinaus. Mit Transparenten, Flugblättern und Sprechchören (wer ist die uni, wenn nicht wir?) werden die "Stuhlgang 09-Besucher" über ein suspektes Berufungsverfahren aufgeklärt.

WEM GEHÖRT DIE UNIVERSITÄT?


16.07.09


Wir protestieren gegen die aktuellen Studienbedingungen an der UdK!

Unsere Klasse (die ehemalige Klasse von Stan Douglas) hat seit über drei

Jahren keineN reguläreN ProfessorIn. Die Gruppe der ProfessorInnen in der

Fakultät Bildende Kunst der UdK hat aufgrund interner Streitigkeiten,

Machtkämpfe und banaler Handlungsunfähigkeit bisher keineN neueN

ProfessorIn für den Bereich Fotografie, Video und Animation berufen. In den

letzten Jahren war es dem Engagement der Studierenden zu verdanken, dass

jedes Semester einE GastprofessorIn eingesetzt wurde.


Jetzt reicht es: Das Verfahren zur Besetzung der Stelle wird erneut nicht

zum Abschluss gebracht. Die UdK hat einen weiteren Aufschub erreicht,

weil der Fakultätsrat keineN der vorgeschlagenen KandidatInnen angenommen

hat. Unsere Professorin, Dr. Hito Steyerl, die die Klasse seit über einem Jahr

hervorragend betreut, wurde von der Berufungskommission vorgeschlagen,

aber im Fakultätsrat nicht angenommen. Das stinkt nach Vetternwirtschaft

und einer groben Missachtung der Bedürfnisse und Rechte der Studierenden.


Dr. Hito Steyerl war die erste der GastprofessorInnen, die wieder eine profunde

Lehre in die Atelierklasse gebracht hat. Die überwiegende Anzahl der im

Bereich Fotografie und Video arbeitenden Studierenden als auch die Klasse

selbst, sowie in anderen Bereichen arbeitende Studierende bis hin zu

Professoren und Werkstattleitern haben sich ausdrücklich für den Verbleib von

Hito Steyerl als Professorin ausgesprochen.


Unsere Forderung wird von der UdK komplett ignoriert.


Konkret bedeutet die Nichtbesetzung der Professur mindestens zwei weitere

Semester ohne reguläre Betreuung. Der Schwerpunkt Neue Medien in der

Fakultät bildende Kunst an der UdK ist und bleibt unterrepräsentiert.


Ex-Steyerl-Klasse und UnterstützerInnen


Wir akzeptieren eure Scheisse nicht!

Auch nicht eure machistische Vetternwirtschaft!

Für eine kontinuierliche und selbstbestimmte Lehre!

Wer ist die Uni, wenn nicht wir?

OFFENER BRIEF-MISSTRAUENSVOTUM GEGENÜBER DEM FAKULTÄTSRAT-15.Juli 2009

Am 15. Juli 2009 dringen die Studierenden in die Nicht-öffentliche Sitzung des Fakultätsrates und geben in einem Offenen Brief ihr Misstrauen gegenüber dem Fakultätsrat zum Ausdruck.


Offener Brief der Klasse Steyerl

- Nachrichtlich an die Mitglieder des Fakultätsrats Bildende Kunst, an den Akademischen Senat sowie an Senator Dr. Zöllner -

Im Zuge des laufenden Berufungsverfahrens zur Wiederbesetzung der Professur für „Experimentelle Fotografie, Film-Videogestaltung, Animation“ möchten wir uns als Mitglieder der betroffenen Klasse Steyerl zu dem Berufungsvorhaben äußern.

Nach den öffentlichen Vorträgen der BewerberInnen wurde die Künstlerin und Autorin Hito Steyerl von der Berufungskommission aufgrund ihrer herausragenden Qualifikation auf den ersten Platz der Vorschlagsliste gesetzt. Diese Entscheidung entspricht den Wünschen der Studierenden vor dem Hintergrund, dass mit Hito Steyerl endlich auch die derzeit unterrepräsentierte Position im Bereich Film und Video herausragend besetzt würde.

Dieser Vorschlag wurde anschließend von der Berufungskommission dem Fakultätsrat vorgelegt und scheint nun schon zum zweiten nicht angenommen worden zu sein.

Für uns ist es unverständlich und es erscheint uns suspekt, dass die Liste der Berufungskommission trotz des eindeutigen Votums der Studierenden, die im Bereich Fotografie, Film und Video arbeiten und sich in einer 160 Namen umfassenden Unterschriftenliste für Hito Steyerl ausgesprochen haben, trotz gleichlautender Statements des Fachschaftsrats BK und der autonomen studentischen Organisation Interflugs sowie des Einsatzes der studentischen Gremienmitglieder bereits zweimal von der Mehrheit der Professorenschaft gekippt worden zu sein scheint.

Wie kann es geschehen, dass im Fakultätsrat stimmberechtigte Mitglieder, welche ebenfalls Teil der Berufungskommission waren, sich gegen diesen Vorschlag/Abmachung wenden beziehungsweise sich nicht dafür einsetzen? Warum können aufgrund des Hochschulgesetzes diese scheinbar demokratischen Vorgehensweisen in Hochschulgremien nicht transparent verhandelt werden? Was sind Werte im Hochschulwesen und was bedeuten studentische Voten tatsächlich?

Wir als Studentinnen und Studenten dieser Universität können diese Vorgänge nicht ohne Protestäußerung hinnehmen und setzen uns ein weiteres Mal mit Nachdruck für die Wiederbesetzung dieser ordentlichen Professur mit der von uns sehr geschätzten sowie der seit WS 2007/2008 als Gastprofessorin der Klasse tätigen Hito Steyerl ein. Gleichzeitig fühlen wir unsere Interessen nicht vom Fakultätsrat vertreten und sprechen diesem Gremien gegenüber unser Misstrauen aus.

Klasse Steyerl, StudentInnen der UdK, 15. Juli 2009

STELLUNGNAHME DER KLASSE STEYERL 30.JUNI.2009

Stellungnahme der Klasse Douglas bezüglich des laufenden Berufungsverfahren zur Wiederbesetzung der Professur„Experimentelle Fotografie und Film- und Videogestaltung, Animation“.

Hiermit unterstützt die ehemalige Klasse Douglas ausdrücklich die Bewerbung Dr. Hitomi Steyerls im laufenden Berufungsverfahren für die Professur „Experimentelle Fotografie und Film- und Videogestaltung, Animation.“

Ein zentrales Anliegen ist uns dabei die Kontinuität der Lehre. Seit sieben Semestern muss sich unsere Klasse mit einer ständig wechselnden Betreuung abfinden. Wir fordern die Tatsache zu beachten, dass unter Hito Steyerls Leitung ein strukturierter und funktionierender Lehrbetrieb aufgebaut wurde, von dem auch Studierende anderer Klassen und sogar anderer Fachbereiche profitieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Besetzung der Position gemäß den Anforderungen unserer Klasse. Das Lehrkonzept der Klasse Douglas zeichnete sich von Anfang an durch eine enge Verbindung von Theorie und Praxis aus. Das engagierte und gut koordinierte Angebot Hito Steyerls führt ein Ausbildungskonzept fort, das in Umfang und Qualität zu diesem Zeitpunkt durch keinerlei Alternativen innerhalb der Fakultät 1 aufgefangen werden kann. Die Vermittlung einer theoretischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Medien in enger Abstimmung mit der Betreuung studentischer Projekte ist an unserer Hochschule einzigartig.

Nach Stan Douglas Ausscheiden zum WS 06/07 ist den Studierenden unserer Klasse eine kontinuierliche Arbeit an der UdK nicht mehr möglich gewesen, da die Lehrstelle durch Gastprofessuren nur temporär besetzt wurde. Es herrschte eine andauernde Ungewissheit über das Fortbestehen des Klassenverbandes. Seit dem WS 07/08 etablierte Hito Steyerl im Zuge dieser Gastprofessur folgendes Studienangebot:

- In vierzehntägigem Rhythmus findet ein Klassentreffen statt, in welchem Studierenden die Möglichkeit geboten wird ihre Arbeiten in der Gruppe zu besprechen.  Hierbei profitiert die Klassengemeinschaft vom demokratischen Aufbau dieser Treffen. Entscheidungen werden diskutiert und gemeinsam getroffen. Auch strukturelle Fragen, Klassenbewerbungen oder Seminarthemen werden so entsprechend den Interessen der Studierenden in einem konstruktiven Gesprächsklima zur Position gestellt.

- Außerhalb der Klassentreffen besteht regelmäßig die Möglichkeit von Einzelbesprechungen mit Hito Steyerl.

- Parallel zu den Klassentreffen wird ein ebenfalls von Hito Steyerl geleitetes klassenübergreifendes Theorieseminar angeboten. Die Schwerpunkte orientierten sich jedes Semester an wechselnden Themen. So war z.B. im WS 08/09 "History is a plastic medium" der Titel des Seminars, welches in Zusammenarbeit mit dem NBK stattfand. Im Zuge des Seminars bestand durch die Teilnahme an der Ausstellung "Kunst und Öffentlichkeit, 40 Jahre NBK" die Möglichkeit wichtige Einblicke in den Organisationsprozess einer Ausstellung zu bekommen.

- Wöchentlich findet ein von Christoph Manz geleiteter Workshop in technischen Bereichen statt. Die Themen waren unter anderem: analoge/digitale Fotografie, Bildbearbeitung, Film/Video, sowie Einführung in die gängigen Computerprogramme (InDesign, Photoshop, FinalCut, AfterEffects etc.).

Frau Dr. Steyerl bietet unserer Klasse und vielen anderen Studenten aus der Fakultät Bildende Kunst eine wertvolle Ausbildung mit Schwerpunkten, die von uns Studierenden im Bereich zeitgenössische Medien als elementar angesehen werden. Sie vermittelt uns ein kritisches Bewusstsein für die Rezeption und vor allem für die Produktion von Bildern, und genau dies begreifen wir als wesentlichen Inhalt unseres Studiums. Aus diesen Gründen setzen wir uns für die Weiterführung dieser exzellenten Ausbildung ein, die Hito Steyerl uns in den letzten zwei Jahren anbieten konnte.

Wir möchten nicht schon wieder den Aufbau einer neuen Klassenstruktur erleben, die für einige von uns das gesamte, mittlerweile fast abgeschlossene, Studium geprägt hat. Wir möchten, dass auch außerhalb unserer Klasse ein Verständnis für den Wert der Lehre entsteht, die uns mit großem Engagement und persönlichem Einsatz von Frau Dr. Steyerl angeboten wird. Wir appellieren an sie, dieses Besetzungsverfahren zu Gunsten der Studierenden zu entscheiden, die dem Resultat langfristig am Nächsten verbunden sind und hiermit formulieren was sie von einer hochwertigen künstlerischen Ausbildung an der UdK erwarten.

 

Freundlichst

 

Ihre Klasse Steyerl

STELLUNGNAHME DES FACHSCHAFTSRATES BK - 30.JUNI.2009

Aufforderung des Fachschaftsrates bildende Kunst zur Besetzung der W3 Professur
Kennziffer 1/ 126/ 08 "Experimentelle Fotografie und Film- und Videogestaltung"

An die MitgliederInnen der im o.g. Berufungsverfahren entscheidenden Gremien.


Mit diesem Schreiben positioniert sich der fsrbk zum Berufungsverfahren oben genannter Stelle als offizielles Gremium der Studierendenschaft, um deren Votum zu vertreten. Hierbei betrachten wir die künftige Besetzung der Stelle im Kontext der aktuellen Hochschulsituation und der Forderung der Studierendenschaft nach einer hochqualifizierten Lehre in allen künstlerischen Bereichen.

Der fsrbk spricht in diesem Zusammenhang eine eindeutige Empfehlung für Dr. Hito Steyerl aus. Hito Steyerl ist seit 2007 Gastprofessorin an der UdK, wo sie ihre Lehrtätgkeit nach den Stationen Hochschule für Fernsehen und Film München, Akademie der bildenden Künste Wien und Goldsmith College London fortsetzt und ihre sowohl künstlerische als auch theoretische Lehrerfahrung einbringt. Derzeit ist Hito Steyerl die einzige Lehrende mit einem expliziten Schwerpunkt im Bereich Film/ Video. Dies sind Medien mit denen Studierende arbeiten und hiermit den Anspruch auf kontinuierliche und qualifizierte Betreuung einfordern!

Hito Steyerls Arbeit als Filmemacherin und Autorin in den Bereichen essayistischer Dokumentarfilm, postkoloniale Kritik, feministische Kritik und kulturelle Globalisierung- sowohl als Produzentin als auch als Theoretikerin- bewegen sich zwischen Film und bildender Kunst sowie Theorie und Praxis. Ihre darauf ausgerichtete und von basisdemokratischen Ansätzen durchzogene Lehre führt diese Diskurse fort, die wir als Studierende nach dem Wegfall von Stan Douglas gefährdet sehen, obschon sie bereits zum internationalen Kanon zeitgemäßer künstlerischer Lehre gehören. Hito Steyerl verkörpert eine mehrdimensionale Perspektive, eine interdisziplinäre Praxis, und ein interkulturelles Verständnis, die für die Zukunft der Hochschule als internationalen Standort unverzichtbar sind. Anschaulich wird dies beispielsweise an dem Seminar "Aethetics of crisis" im Sommersemester 2009, welches verschiedende internationale Krisensituationen im historischen Zusammenhang erörterte und diese Anhand von film-/kunsthistorischen Beispielen erschloss.

Ihr beruflicher Werdegang angefangen von ihrer internationale Ausbildung als Filmemacherin über ihre Promotion über ihre mehrsprachig übersetzten Veröffentlichungen bis hin zur umfangreichen Rezeption ihres Werkes in Kontexten wie der Documenta 12, der Generali Foundation und der Kunsthalle Wien, dem nbk, der ngbk den KunstWerken und dem Haus der Kulturen der Welt Berlin, dem ZKM Karlsruhe und dem Münchner Kunstverein- um eine Auswahl nur im deutschsprachigen Kunstkontext zu nennen- qualifiziert Hito Steyerl für die ausgeschriebene Stelle, welche die Studierenden mit einer international anerkannten, progressiven und im Film verwurzelten KünstlerpersoÅNnlichkeit besetzt sehen.

Derzeit gibt es keine aus dem Bereich Film kommende feste ProfessorIn an der Fakultät bildende Kunst. Diese Unterrepräsentation ist auszugleichen und bei der Berufung der Stelle zu berücksichtigen.

Wir fordern die an der Entscheidung beteiligten Gremien auf, die oben genannten Argumente und Dringlichkeiten anzuerkennen und Hito Steyerl den Ruf als Professorin zu erteilen!

Mit freundlichen Grüssen,
der fsrbk, verfasst von Markues Göst

STELLUNGNAHME VON INTERFLUGS - 30.Juni.2009















STELLUNGNAHME VON INTERFLUGS, DER AUTONOMEN

STUDENTISCHEN ORGANISATION AN DER UDK,

BEZÜGLICH DES LAUFENDEN BERUFUNGSVERFAHRENS

ZUR WIEDERBESETZUNG DER PROFESSUR

„EXPERIMENTELLE MEDIEN (FILM / FOTOGRAFIE).“

ZEITGEMÄßE LEHRE


 – Annäherung zwischen Kunst und Wissenschaft

In unserer zunehmend komplexen Gegenwart werden Trennungen zwischen verschiedenen

Kunstdisziplinen und zwischen Kunst und Wissenschaft immer durchlässiger, die Produktion

neuen Wissens durch interdisziplinäre und transmediale Arbeitsprozesse immer wichtiger.1

Die UdK hat als Antwort auf die veränderten Anforderungen an zeitgemäße Lehre die

Graduiertenschule gegründet, welche den Brückenschlag zwischen den Künsten und den

Wissenschaften vorantreiben sollen.2 Innerhalb der UdK wird auf diesen Brückenschlag aber

noch zögernd reagiert:

Auf der einen Seite gibt es die Position, dass die Unterscheidung zwischen Künsten und

Wissenschaften nicht mehr vertretbar und daher obsolet sei. Auf der anderen Seite steht die

Position, die den Unterschied zwischen Künsten und Wissenschaften für dermaßen

ausgeprägt hält, dass eine Synthese im Rahmen einer Graduiertenschule nicht möglich sei.

Künste und Wissenschaften müsse man „artig“ voneinander trennen, sonst gebe es

Reputationsverluste auf beiden Seiten.3

Interflugs vertritt die Meinung kein Entweder-Oder zur forcieren (entweder nur ein

traditionelles Kunst- oder Wissenschaftsverständnis oder nur ein Wechselverhältnis von

Künsten und Wissenschaften), vielmehr sollten interdisziplinäre Positionen parallel zu

anderen Modellen vertreten werden. In jedem Fall sollten Impulse aus der Graduiertenschule

sich auch in den einzelnen Fakultäten wieder finden, hier stimmt Interflugs mit der offiziellen

Position der UdK überein:

Vergleichsweise häufig werden Überlegungen dazu angestellt, wie der Gedanke einer

künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenschule auf das Grundstudium übertragen

werden kann. Es wäre bedauerlich, wenn erst nach Abschluss des Studiums ein

intensivierter Brückenschlag zwischen den Fächern der UdK Berlin erfolgen würde, ohne

dass davon auch Studierende am Anfang oder während ihres Studiums profitierten. 4

Innerhalb der Fakultät Bildende Kunst gibt es im Moment wenig Modelle, die künstlerische

und theoretische Perspektiven konsequent verbinden.

Bei der Anhörung am 30.04.2009 zeichnete sich Dr. Hito Steyerl in ihrem Vortrag als

hybride, d.h. als sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich hoch qualifizierte

Persönlichkeit aus. Keiner der anderen Bewerber und Bewerberinnen konnte ein ähnlich

fundiertes künstlerisch-wissenschaftliches Wissensspektrum einhergehend mit

zukunftsweisenden, relevanten Themen und experimentellen Arbeitspraktiken vorweisen. Ihre

nicht-traditionelle Studienfachkombination in Filmregie an Hochschulen in Tokio und

München sowie Philosophie an der Kunsthochschule Wien befähigen sie, in verschiedenen

Kunstrichtungen und Diskursen einflussreich mitzuarbeiten


Als einzige Bewerberin hat sich Hito Steyerl gezielt zur Lehre an der UdK geäußert, deren

Inhalte und Formate sie zuvor an verschiedenen namhaften Institutionen entwickelt und

erprobt hat (Goldsmith College London, Hochschule für Film und Fernsehen München,

Akademie der Bildenden Künste Wien, UdK Berlin).


UNTERRICHT – Verbindung von Theorie und Praxis

In ihren theoretischen Seminaren verbindet Hito Steyerl Film- und Videogeschichte mit

gesellschaftlich relevanten Themen und innovativen künstlerischen Strategien. Als

Gastprofessorin an der UdK gab Hito Steyerl folgende Seminare: „Media Matters,“

„Documentary Turn“, „History is a Plastic Medium“. In ihrem letzten Seminar „Aesthetics of

the Crisis“ verknüpfte sie zunächst die Entwicklung der Filmsprache mit der Entwicklung der

Finanzspekulation, um zu untersuchen wie sich die Komplexität abstrakter ökonomischer

Systeme auch heute medial vermitteln lässt. Es ist an unserer Fakultät bisher selten, dass

dieselbe Lehrperson theoretische Seminare gibt und Arbeitsbesprechungen durchführt.

Während der Gastprofessur von Hito Steyerl hat sich diese Praxis jedoch als sehr fruchtbar

erwiesen. Zentrale Fragestellungen, zum Beispiel inwiefern Fiktionen imstande sind

Realitäten zu schaffen, werden in den Arbeitsbesprechungen der Klasse wieder aufgegriffen

und bereichern das Diskussionsniveau, da sie den eigenen Kunstwerken einen

mehrschichtigen Zugang eröffnen.


INTERNATIONALE VERNETZUNG

Der UdK ist die internationale Vernetzung ein großes Anliegen, sie pflegt über 130

Hochschulpartnerschaften, etwa 20% der Studierenden kommen aus dem Ausland. Hito

Steyerl trägt diesem Umstand Rechnung, in dem sie auf Englisch unterrichtet und den

ausländischen Studierenden immer die Gelegenheit gibt ihre Perspektiven einzubringen.

Davon profitieren auch die hiesigen Studierenden, indem sie in einen internationalen

Ideenaustausch einbezogen werden, was sie wiederum auf zukünftige Arbeits- oder

Studienaufenthalte im Ausland vorbereitet. Es gibt einen aktiven Klassenblog, in dem

Studierende, Themen, Ideen, Projekte produktiv vernetzt werden und weiter wachsen.


DISKURS – Politische und ethische Fragestellungen

In den Medien und in der Kunstwissenschaft wird Hito Steyerl als wichtige Denkerin

rezipiert, die sich komplexen Themen wie den Auswirkungen medialer Globalisierung und

der digitalen Reproduzierbarkeit von Bildern annimmt und Fragen zur politischen

Verantwortung und Ethik in der Kunst aufwirft. In ihrem 2008 erschienenem Buch „Die

Farbe der Wahrheit5“ umkreist sie drei Fragen: 1. Wie lässt sich das Reale selbst nunmehr

denken? 2. Ist Kritik überhaupt noch möglich, wenn wir schon immer in die Macht der Bilder

eingebettet sind, und wie?6 3. Welche Formen kann die Artikulation des Protests annehmen?

Die Diskussionen, die sie in ihren Klassentreffen und in ihren Seminaren anregt, führen uns

immer wieder unsere eigenen Handlungsoptionen, und vor allem unsere

gesellschaftspolitische Verantwortung als KulturproduzentInnen vor Augen. Wir leiten aus

Hito Steyerls bisherigen Engagement und ihrem Werdegang ab, dass sie in ihrer eigenen

künstlerisch-theoretischen Leistung wie auch in ihrer Lehre zukunftsweisende Impulse geben,

und die UdK öffentlichkeitswirksam auf höchstem Niveau vertreten wird.


Neue Modelle für den Dialog zwischen den Künsten und den Wissenschaften werden gegenwärtig am Max-Planck-

Institut für Wissenschaftsgeschichte („The Common Language of Art and Science“) und an der Freien Universität

Berlin (Internationales Graduiertenkolleg „InterArt Studies“) erforscht.

Sondierungsgruppe Graduiertenschule: Potentiale und Perspektiven. Sondierungen zu einer Graduiertenschule der

UdK Berlin, Berlin 2007, S. 5. Siehe auch Martin Rennert (Hrsg.), Graduiertenschule: Die Künste und die

Wissenschaften –– Denken über Zukunft, Universität der Künste Berlin, Berlin 2007.

Ebenda, S. 23.

Ebd., S. 26.

Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit, Dokumentarismen im Kunstfeld, Verlag Turia + Kant, 2008

6 Kathi Hofer, Rezension des oben genannten Buches, springerin 1/09